Auf der Suche nach InterviewpartnerInnen für unser Projekt in der Schweiz, baten wir das Slavische Seminar Zürich um Mithilfe und Vermittlung von Kontakten. Schon nach sehr kurzer Zeit meldete sich Jelica Popović, Doktorandin am Seminar, zurück. Sie forscht über Hip-Hop in Post-Jugoslawien und war sofort Fan unseres Projekts. Im Vorfeld unseres Interviews schrieb sie uns ihre eigene Geschichte auf. Sie kam 1988 als 6-jährige in die Schweiz und erinnert sich immer noch genau an den Fica ihrer Eltern.
"Meine Mutter ging 1987 in die Schweiz, ursprünglich nur für ein paar Monate, um Schulden, die aufgrund eines Hauskaufs entstanden waren, zu begleichen. Mein Vater und ich zogen 1988 hinterher, nach Lachen im Kanton Schwyz. Im Januar 1989 bin ich in den Kindergarten gekommen, konnte kein Wort Deutsch, hatte keinen Stützunterricht. Dieses Angebot (heute: Deutsch als Zweitsprache) gab es damals im Kindergarten noch nicht. Zu Beginn habe ich mein Stühlchen zum Fenster gedreht, hinausgeschaut und dabei von Banja Luka und meinen Großeltern, die ich sehr vermisste, geträumt. Dennoch konnte ich bis zum Sommer so gut Deutsch, dass es für eine normale Einschulung reichte. Trotzdem habe ich nicht immer verstanden, was die Lehrerin meinte und habe beim Nachbarn geschaut, was zu tun ist ... Die Lehrerin hat mich kaum unterstützt, sie hat mich immer wieder gerne bloß gestellt ...
In Lachen habe ich immer und immer wieder zu spüren bekommen, dass ich anders sei, dass ich nicht dazu gehörte (später wurde mir gesagt, dass ich als schräg aufgrund meiner Sozialkompetenz und Offenheit empfunden wurde), nicht katholisch war, kein eigenes Zimmer hatte, anderes Essen bei uns zu hause gekocht wurde, wir nicht Teil des Dorflebens waren. Meine Eltern hatten keine Schweizer Freunde, und ich würde behaupten, dass das nicht an meinen Eltern lag... Schließlich hat meine Mutter im Krankenhaus gearbeitet. Meinst du, eine der Krankenschwestern hätte sich näher mit ihr angefreundet, sie mal eingeladen?
Natürlich habe ich als Kind alles versucht, um meine "Andersartigkeit" zu kaschieren, mich überanzupassen, wenn man so will.
Bis zum Kriegsausbruch, also bis 1991/92, kam ich aus einem europäischen Land, so wie die Italiener, Spanier. Doch ab da wurde alles anders. Mir war es unangenehm, wenn vom Krieg in Jugoslawien die Rede war... jetzt wollte ich erst recht nicht damit in Verbindung gebracht werden. Immer aus einem Land zu sein, in dem Krieg herrscht - das war wie eine Art Aufforderung zur Rechtfertigung.
Die bewusste Auseinandersetzung mit meiner Herkunft kam erst viel später, mit über 20, über das Studium. Zu Beginn meines Studiums hatte ich Germanistik und Hispanistik studiert. 2006 war ich in Mexico und habe dort realisiert, dass ich mich eigentlich mit Jugoslawien auseinandersetzten muss. Anschließend habe ich neben Germanistik nicht mehr Spanisch, sondern in den Nebenfächern Serbokroatische Literatur und Osteuropäische Geschichte studiert. Es folgten Reisen nach Post-Jugoslawien, und ich lebte im Rahmen meiner Forschungsarbeit zu post-jugoslawischem Hiphop eine Weile in Belgrad. Das war wichtig für mich: Die Auseinandersetzung oder Versöhnung mit der Herkunft, dem Anderssein. Es ist bei mir mit Sicherheit eine Aufarbeitung des Kriegstraumas im Gange, verursacht durch den Zerfall Jugoslawiens und seiner Folgen, von dem wir alle Post-Jugoslawen in irgendeiner Form betroffen sind. Diese Auseinandersetzung hatte eine Emanzipation meines AUCH post-jugoslawischen Ichs zur Folge." (Text: Jelica Popović)
Auf der Suche nach InterviewpartnerInnen für unser Projekt in der Schweiz, baten wir das Slavische Seminar Zürich um Mithilfe und Vermittlung von Kontakten. Schon nach sehr kurzer Zeit meldete sich Jelica Popović, Doktorandin am Seminar, zurück. Sie forscht über Hip-Hop in Post-Jugoslawien und war sofort Fan unseres Projekts. Im Vorfeld unseres Interviews schrieb sie uns ihre eigene Geschichte auf. Sie kam 1988 als 6-jährige in die Schweiz und erinnert sich immer noch genau an den Fica ihrer Eltern.
"Meine Mutter ging 1987 in die Schweiz, ursprünglich nur für ein paar Monate, um Schulden, die aufgrund eines Hauskaufs entstanden waren, zu begleichen. Mein Vater und ich zogen 1988 hinterher, nach Lachen im Kanton Schwyz. Im Januar 1989 bin ich in den Kindergarten gekommen, konnte kein Wort Deutsch, hatte keinen Stützunterricht. Dieses Angebot (heute: Deutsch als Zweitsprache) gab es damals im Kindergarten noch nicht. Zu Beginn habe ich mein Stühlchen zum Fenster gedreht, hinausgeschaut und dabei von Banja Luka und meinen Großeltern, die ich sehr vermisste, geträumt. Dennoch konnte ich bis zum Sommer so gut Deutsch, dass es für eine normale Einschulung reichte. Trotzdem habe ich nicht immer verstanden, was die Lehrerin meinte und habe beim Nachbarn geschaut, was zu tun ist ... Die Lehrerin hat mich kaum unterstützt, sie hat mich immer wieder gerne bloß gestellt ...
In Lachen habe ich immer und immer wieder zu spüren bekommen, dass ich anders sei, dass ich nicht dazu gehörte (später wurde mir gesagt, dass ich als schräg aufgrund meiner Sozialkompetenz und Offenheit empfunden wurde), nicht katholisch war, kein eigenes Zimmer hatte, anderes Essen bei uns zu hause gekocht wurde, wir nicht Teil des Dorflebens waren. Meine Eltern hatten keine Schweizer Freunde, und ich würde behaupten, dass das nicht an meinen Eltern lag... Schließlich hat meine Mutter im Krankenhaus gearbeitet. Meinst du, eine der Krankenschwestern hätte sich näher mit ihr angefreundet, sie mal eingeladen?
Natürlich habe ich als Kind alles versucht, um meine "Andersartigkeit" zu kaschieren, mich überanzupassen, wenn man so will.
Bis zum Kriegsausbruch, also bis 1991/92, kam ich aus einem europäischen Land, so wie die Italiener, Spanier. Doch ab da wurde alles anders. Mir war es unangenehm, wenn vom Krieg in Jugoslawien die Rede war... jetzt wollte ich erst recht nicht damit in Verbindung gebracht werden. Immer aus einem Land zu sein, in dem Krieg herrscht - das war wie eine Art Aufforderung zur Rechtfertigung.
Die bewusste Auseinandersetzung mit meiner Herkunft kam erst viel später, mit über 20, über das Studium. Zu Beginn meines Studiums hatte ich Germanistik und Hispanistik studiert. 2006 war ich in Mexico und habe dort realisiert, dass ich mich eigentlich mit Jugoslawien auseinandersetzten muss. Anschließend habe ich neben Germanistik nicht mehr Spanisch, sondern in den Nebenfächern Serbokroatische Literatur und Osteuropäische Geschichte studiert. Es folgten Reisen nach Post-Jugoslawien, und ich lebte im Rahmen meiner Forschungsarbeit zu post-jugoslawischem Hiphop eine Weile in Belgrad. Das war wichtig für mich: Die Auseinandersetzung oder Versöhnung mit der Herkunft, dem Anderssein. Es ist bei mir mit Sicherheit eine Aufarbeitung des Kriegstraumas im Gange, verursacht durch den Zerfall Jugoslawiens und seiner Folgen, von dem wir alle Post-Jugoslawen in irgendeiner Form betroffen sind. Diese Auseinandersetzung hatte eine Emanzipation meines AUCH post-jugoslawischen Ichs zur Folge." (Text: Jelica Popović)